21.10.2022
Am 11.10.2022 nahm die Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten an einer live gestreamten Podiumsdiskussion der „Initiative Quorum“ zum Thema „Russische Desinformation und ihre Folgen“ teil. Die Veranstaltung wurde vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat und der Landeszentrale für Politische Bildung Berlin gefördert. Moderiert wurde die Veranstaltung von der Regisseurin und Podcasterin Julia Boxler. Weitere Teilnehmer waren die beiden PolitikwissenschaftlerInnen Sarah Pagung (Associate Fellow bei der DGAP) und Daniel Heinz (Bildungsreferent bei Arbeit und Leben NRW e.V.).
Die Initiative Quorum ist ein Projekt des Europäischen Austausch gGmbH, das sich an die russischsprachigen Wählerinnen und Wähler in Deutschland richtet. Es soll die Motivation der russischsprachigen Bürgerinnen und Bürger stärken, aktiv an politischen und demokratischen Prozessen sowie Wahlen teilzunehmen.
Gezielte Desinformation ist ein strategisches Element der von Russland betriebenen hybriden Kriegsführung und wird mit dem Ziel der inneren Destabilisierung und Spaltung westlicher Demokratien angewandt. Während anfangs der mittlerweile in der EU verbotene TV-Kanal Russia Today (RT) als Medium diente, verläuft die Verbreitung desinformierender Inhalte mittlerweile nahezu ausschließlich über Soziale Medien, hier vor allem über den Instant-Messaging-Dienst Telegram. Ein bevorzugtes Ziel in Deutschland ist die postsowjetische Community und mit ihr auch die Gruppe der Spätaussiedler. Die hierdurch erzielte Spaltung reicht bis in Familien hinein. Die Veranstalter sprechen von „vergifteten Familien und zerstörten Beziehungen“.
Pawlik stellte fest, dass es schwierig sei, explizite Einstellungen innerhalb der postsowjetischen Community festzustellen, hierfür fehlten aussagekräftige Untersuchungen und Umfragen. Hier bestehe „Potential nach oben, was die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Gruppe anbelangt“. Allerdings sei es offensichtlich, dass die Gruppe zur Zielscheibe der russischen Desinformationskampagne geworden sei, die allerdings angesichts der Diversität der Gruppe bei weitem nicht bei allen wirke.
Überdies gelte es festzuhalten, dass gezielte Falschinformationen nicht nur dort verfangen, sie wirkten in der Breite der Gesellschaft, sogar der Bundestag sei hiervon nicht ausgenommen. Dennoch müsse man sich bewusst machen, dass der gezielte Versuch unternommen werde, mit der Gruppe der Russischsprachigen in Deutschland „politisch zu arbeiten“ und durch sie soziale Spaltungen zu evozieren. Sie sehe es für sich als „Handlungsauftrag“, dem entgegenzuwirken.
Pawlik merkte an, dass man sich der Thematik Desinformation und Cybersicherheit in der Gesellschaft wie auch in Regierungskreisen zu spät gestellt habe. „Zu wenige sind in der Politik davon ausgegangen, dass es die Dimensionen annehmen kann, die es jetzt angenommen hat“. Man hätte früher in digitale Sicherheitsstrukturen und präventive bildungspolitische Arbeit investieren müssen, allerdings sehe sie mit Nancy Faeser auch eine Bundesinnenministerin, die dies „weiß, sieht und auch dagegen vorgehen möchte“. Man habe bereits viel gelernt und werde mehr tun.
Dass das von der russischen Seite bediente Narrativ von einem russophoben Europa so gut verfange, läge teilweise auch an Versäumnissen in der Integration der Spätaussiedler. Diese seien, obgleich sie offiziell als Deutsche galten, mit rassistischen Diskriminierungserfahrungen konfrontiert gewesen, aufgrund nicht anerkannter Bildungsabschlüsse einem sozialen Abstieg ausgesetzt gewesen. Der Anteil der von Armut bedrohten oder in Armut lebenden Menschen sei unter Spätaussiedlern höher als im Mittel der Gesellschaft, was nicht zuletzt an nicht anerkannten Lebensleistungen liege. Dies habe nicht eben dazu geführt, dass sie sich als Teil der Gesellschaft angenommen und akzeptiert gefühlt haben, was in sozialpolitischen Diskurs stärker anerkannt werden müsse. Ein wichtiger Teil des Kampfes gegen Desinformation, sei sozialpolitischer Natur: man müsse für verbesserte Lebensverhältnisse unter den Spätaussiedlern sorgen.
Eine weitere sinnvolle Strategie sieht Natalie Pawlik darin, Mitglieder der russischsprachigen Community gezielt im Umgang mit den Teilen ihres Umfelds zu schulen. Man müsse ihnen Kompetenzen, Wissen, Know-How an die Hand geben, um in ihrem nächsten Umfeld Desinformation entgegenzuwirken.
Der Kampf gegen Desinformation sei etwas, womit sich die Breite der Gesellschaft beschäftigen müsse. Man erreiche kommunikativ die Gruppe nicht, die man erreichen müsse. Es brauche eine große Gegenkampagne, der sich neben Vertretern der Politik und der akademischen Elite auch Künstler, Schauspieler und Schriftsteller – insbesondere aus der russischsprachigen Community - anschließen müssten, denn jetzt sei der Moment, sich zu positionieren, jetzt ginge es darum, die Gesellschaft zusammenzuhalten. „Wir leben zu einem Zeitpunkt, an dem sich sehr viel entscheidet. (…) Es kommt jetzt darauf an, unsere Demokratie zu verteidigen, unseren sozialen Zusammenhalt zu verteidigen und zu beweisen, dass wir stärker sind, als der Kriegstreiber Putin und das Regime, das hinter ihm steht. Da ist jeder Einzelne gefragt und man kann sich nicht guten Gewissens aus der Verantwortung nehmen. (…) Das schafft weder die Politik alleine, noch die Zivilgesellschaft. Es kommt auf jeden Einzelnen an.“
Sehen Sie hier die Diskussion in voller Länge auf dem YouTube-Kanal der Initiative Quorum:
Text: Florian Schmelzer
Fotos: Initiative Quorum (YouTube)
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