Transkarpatien Aktuell

02.02.2023

Hier schreibt unser Mitarbeiter aus Uschgorod, Alexander Chabanov, über aktuelle Ereignisse in der Region Transkarpatien. In dieser Ausgabe stellt er uns die "Eulenkinder" vor, Kinder, die zu den freiwilligen Helfern im Uschgoroder Hilfszentrum für Binnenflüchtlinge, dem "Eulennetz" engagiert sind.

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Eulenkinder

Im Uschhoroder Hilfezentrum für Binnenflüchtlinge „Eulennetz“ sind ca. 25 freiwillige Helfer engagiert, darunter 20 Personen, die jeden Tag zum Eulennetz kommen. Sie sortieren die humanitären Hilfsgüter, machen das Lager und geben den Binnenflüchtlingen die Hilfsgüter aus. Aber nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder sind damit beschäftigt. Ihre Kindheit vergeht zwischen zahlreichen Pappkartons mit Lebensmitteln und Ständern mit gebrauchter Kleidung. Heute möchte ich meinen Artikel der Tatsache widmen, wie sie sich im Laufe von diesen 10 Monaten nach dem 24. Februar 2022 verändert haben. Nun haben Sie die Möglichkeit die Eulenkinder kennen zu lernen.

Eigentlich gab es am Anfang viel mehr Kinder, als jetzt. Sie kamen mit ihren Eltern und halfen, wo es nur möglich war. Mit der Zeit sank der Arbeitsumfang, es fing die Schule an; die Eltern fanden einen Job und die Zahl der Kinder im Eulennetz verringerte sich allmählich. Heute möchte ich 4 Kinder vorstellen, die auch momentan noch im Eulennetz als engagierte Helfer tätig sind.

Marischka

Maritschka (15), aus Uschhorod

Sie ist die richtige Veteranin vom Eulenetz. Sie kommt jeden Tag zum Hilfezentrum, nimmt ihre Aufgaben ernst und erledigt sie maximal schnell und effektiv. Nicht jeder Erwachsene kann so einen Rhythmus aushalten. „Manchmal habe ich keine Kraft mehr, am Morgen aufzustehen“. Dann komme Maritschka zu ihr und sage: „Komm, wir müssen.“ – so ihre Mutter Natalja. Ihr Vater verteidigt seit 2014 die Ukraine im Osten.

Eigentlich mag Maritschka den aktiven Urlaub in der Natur. Sie interessiert sich für Yoga, wandert gern in den Bergen, mag Wasseraktivitäten und Grillen. Sie ist auch eine begeisterte Leserin und Krimis verschluckt sie im Nu. Aber in der letzten Zeit widmet sie sich vollkommen der Arbeit im Hilfezentrum. Das Mädchen konnte sich durchsetzen und arbeitet so viel wie jeder Erwachsene. Sie wird dort liebevoll kleine Generalin genannt.

Seit März 2022 riskiert ihr Vater jeden Tag sein Leben, in dem er das Land vor den russischen Eroberern verteidigt. Seitdem sah Maritschka ihren Vater nur ein Mal.

Stanislava

Stanislava (14 J.a.), aus Mykolajiw

Ein typisches Bild von Stanislava wäre eine Teenagerin mit Smartphone und Kopfhörern in den Ohren. Sie singt, tanzt und malt sehr gern, mag Haustiere, besonders Katzen. Aber Lernen ist für sie ein Fremdwort, außer geht es um Lernen von der Maltechnik. Auf diesem Gebiet ist sie allerdings unschlagbar und kann beim Malen und Zeichnen den ganzen Tag verbringen. Ihre Bilder erhielten an verschiedenen internationalen Kinderwettbewerben Prestigepreise. Neben der Tätigkeit im Zentrum engagiert sie sich für so eine Art der Malen-AG für Kinder aus Kriegsregionen. Sie unterrichtet Malen und Basteln für Kleinkinder und es macht ihr wahnsinnig viel Spaß.

Stanislava hatte Glück, sie kam nach am 20. Februar 2022 Uschhorod und erlebte den wahren Schrecken des Krieges nicht. Aber ihre Mutter, die in Mykolajiw blieb, sah sie seit praktisch einem Jahr niemals mehr.

Sascha

Geschwister Sascha (15 J.a.) und Anja (9) aus Dnipro

Am 24. Februar 2022 wurden die beiden Kinder durch den morgendlichen Beschuss des Flughafens Dnipro und über das Haus fliegende Kampfflugzeuge geweckt. Zusammen mit der Familie kamen sie dann nach Uschhorod und schlossen sich schon in den ersten Tagen nach dem Umzug den Reihen der Freiwilligen im humanitären Hilfszentrum "Eulennest" an. 

Sascha ist wahres Multitalent: Er verbindet perfekt Lernen in der Schule mit der aktiven Zeitgestaltung. Vor dem Umzug nach Uschhorod besuchte Sascha das Lyzeum für Physik und Mathematik in Dnipro, weil er davon träumt, Programmierer zu werden und Computerspiele zu entwickeln, für die er eine Leidenschaft hat. Derzeit setzt er sein Lernen aus der Ferne fort, aber ständige Luftalarme und Stromausfälle erschweren das. Mit seinen Kenntnissen im Programmieren und IT-Technologien trug er zur Schaffung von Onlinediensten bei. Seine Chat-Bots in sozialen Netzwerken erleichtern die Kommunikation zwischen Volontären und Binnenflüchlingen.

6 Jahre lang spielte er in Dnipro Eishockey und nahm an professionellen Wettbewerben in verschieden Städten sowohl in der Ukraine, als auch in Europa teil. Viele Arenen, in denen er auftrat, wurden von Raschisten* zerbombt, z.B. in Charkiw, Mariupol, Druzhkivka…, was in seiner Seele tiefe Spuren hinterließ. Seine Bewegungen auf der Eisbahn sind erstaunlich. Er bewegt sich rückwärts schneller und geschickter als andere vorwärts. Er ist eine aktive Person: im Winter fuhr er Snowboard oder Ski und im Sommer Wakeboard oder Fahrrad. Dank deutscher Wohltäter erhielt Sascha ein Fahrrad und fuhr damit fast den ganzen Sommer durch die Stadt zum humanitären Zentrum „Eulennest“. In Uschhorod schloss sich Oleksandr einer lokalen Tourismusgruppe an und entdeckte Transkarpatien für sich!

Anja

Anja ist ein kreatives Mädchen und nach der Schule lief sie immer mit Begeisterung zu ihrer Tanzgruppe, wo sie zusammen mit anderen Mädchen sang und tanzte. Ihr Team beteiligte sich ständig aktiv am kreativen Leben der Stadt Dnipro - sie nahmen regelmäßig an verschiedenen Veranstaltungen zu Ehren des Stadttages, des Unabhängigkeitstages und anderer feierlicher Feiertage teil. Sie schufen sogar eine Kinder-Hymne "City of Dnipro". Ihr ganzes Jahr war vorgeplant: Konzerte, Wettbewerbe, Reisen…

Sie beginnt allmählich ihren Hof in Dnipro zu vergessen und versucht immer wieder abends in Gedanken in ihren Hof bzw. in ihre Wohnung zu gehen und kann sich nicht mehr erinnern. Die Kleine wiederholt regelmäßig die Namen ihrer Freundinnen aus der Tanzgruppe, weil sie Angst hat, sie zu vergessen. Sie vermisst ihr Zuhause sehr und erzählt, wie sie nach Hause kommt, die Wohnungstür öffnet, ihr Zimmer betritt und ihre Spielsachen umarmt.

„Als wir ankamen, schien es uns, dass Anja nicht verstehe, was geschah, und dann schrieb sie ein Gedicht und es stellte sich heraus, dass sie alles klar verstanden hat“, sagte ihre Mutter Julia. Anja ist ein sehr verletzliches Kind und der Krieg hat ihren Charakter wirklich sehr stark beeinflusst. Das Mädchen erlebt selbst kleinere Streitereien mit Freunden ziemlich schmerzhaft, bleibt immer in der Nähe ihrer Eltern oder ihres Bruders.

Trotz aller Schwierigkeiten und Schicksalsschläge bleiben die Kinder im Eulennest Kinder. Sie spielen Fangen und Verstecken, fahren Skateboard, bauten aus Wellpappenkartons eine eigene Herberge auf, wo sie ihre freien Minuten verbringen und lernen dort. Nur scheint es mir, dass sie ganz plötzlich sehr viel erwachsener geworden sind und ich möchte bei ihnen dafür um Entschuldigung bitten: mir kommt es so vor, dass wir, die wahren Erwachsenen, dafür die Schuld tragen, dass wir ihre Kindheit nicht bewahren konnten.

Anmerkungen:
*Raschisten – Kombination von Russen und Faschisten, so nennen die Ukrainer die Russen seit dem Kriegsanfang.

Fotos:
Dafür habe ich Eugen Leschenko engagiert, die Kinder im Eulennetz zu fotografieren. Und die Eltern haben mir netterweise Fotos von ihren Kindern aus Familienalben zur Verfügung gestellt.

Kontakt

Stiftung Verbundenheit mit den Deutschen im Ausland
An der Feuerwache 19
95445 Bayreuth

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E-Mail: nfstftng-vrbndnhtd
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