Transkarpatien Aktuell

11.11.2022

Hier schreibt unser Mitarbeiter aus Uschgorod, Alexander Chabanov, über aktuelle Ereignisse in der Region Transkarpatien: diesmal geht er der Frage nach, warum man in Uschgorod des Öfteren die Frage vernimmt, wo es denn zur „Statue of Liberty“ gehe.

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Mini-Skulpturen in Uschorod


Uschhorod ist ein besonderer Ort. Hier fallen Fremde und Neuhinzugekommene besonders krass auf. Echt, wirklich! Die bewegen sich in Scharen von einem Ort zu dem anderen in einem besonderen Rhythmus, halten oft und machen kurze Pausen für Fotos. Ja, ich weiß, Sie sagen, dass sich die Touristen so überall benehmen. Da muss ich Ihnen aber widersprechen. In erster Linie sind das keine Touristen, das sind meine Landsleute, die Zuflucht von der russischen Aggression in Uschhorod gefunden haben. Einst die kleinste Gebietshauptstadt der Ukraine hat im Laufe von wenigen Tagen ihre Bevölkerungszahl mit Binnenflüchtlingen aus den Kriegsregionen verdoppelt. Die Menschen, die im Februar vom russischen Tod geflohen sind, versuchen sich hier und jetzt einzuleben. Sie suchen nach einer Arbeit, nehmen am Leben der Stadt teil, erleben Kulturelles.

Und da hat die Stadt Einiges anzubieten. Neben den Kinos, Theatern und der Philharmonie, wo die Musiker ihre Proben sogar unter Stromausfall* meistern, gibt es in Uschhorod eine Reihe von Mini-Figuren, die überall in der Stadt zerstreut sind. Niemand kennt die genaue Zahl dieser Skulpturen. Sind es 30, 40, 50…? Niemand außer ihm, Mykhailo Kolodko (@minikolodko), dem ukrainischen Bildhauer, der seit einigen Jahren in Budapest wohnt. Dank Mykhailo ist in Uschorod da und hier die Frage zu hören:“Wie komme ich zur „Statue of Liberty?“.

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Oh ja, so eine Statue hat man hier auch. Allerdings ist sie wesentlich kleiner (und ich würde sogar sagen, etwas molliger) als das Original, aber authentisch ist sie durch und durch… und steht übrigens auch am Wasser.  Diese Skulptur gehört zu den beliebtesten und bekanntesten der Stadt. In der Figur ist eine Diode angebracht, und manche scherzen glaubhaft und nur ein wenig ironisch, dass die „freie Frau“ mit diesem Signal transkarpatische Arbeiter aus fernen Ländern zur Rückkehr rufe. Ein anderer Name ist der Leuchtturm "Ungvar"**. Seit der Installation der Figur folgen die Bewohner der Stadt einer wunderbaren Tradition und kleiden die Miniatur-Freiheitsstatue den Feiertagen angemessen. Bitte beim Vorbeigehen immer darauf achten, was die „freie Frau" trägt – evtl. begegnen Sie ihr in einem neuen Look.  Eine interessante Tatsache wäre, dass diese Minifigur in Uschhorod dank ihrer Proportionen und ihrer elektrischen Diode den stolzen Status des kleinsten funktionierenden Leuchtturms besitzt, dessen Höhe nur 17 cm beträgt und dessen Gewicht 2 kg nicht überschreitet.

Nicht weit von der unabhängigen Gestalt befindet sich noch eine Prominenz, diesmal eine literarische. Soldat Švejk ist eine weltberühmte satirische Figur des tschechischen Schriftstellers Jaroslav Hasek. Der Autor hat diese Figur in seinem Werk mit dem Titel "Die Abenteuer des guten Soldaten Schwejk" dargestellt - dies ist einer der berühmtesten Antikriegsromane, die nach dem Ende des Ersten Weltkriegs geschrieben wurden. Wenn man sich die Figur genau anschaut, erkennt man, dass der tapfere Soldat einen Knödel in der Hand hält. Und das nicht einfach so: Knödel sind ein traditionelles tschechisches Gericht, dem der Autor des Romans eine ganze Seite in seinem Werk gewidmet hat. Darüber hinaus bedeutete "knedlyk" während des Ersten Weltkriegs im tschechischen Slang "Dummkopf".

Warum genau sitzt der brave Schwejk am Geländer in der Nähe des Flusses Usch? Da gibt es viele Versionen. Mir gefällt die Legende, dass seine erste Station nämlich die Stadt Uschhorod war. Ohne lange nachzudenken, ging unser Held zum Wirtshaus und grüßte beim Eintreten laut mit dem Ausruf: "Grüß dich, mein Name ist Josef Schwejk." Die Tatsache, dass außer dem Wirt niemand da war, hat ihn überhaupt nicht irritiert. Der Wirt grüßte ihn zurück, worauf Schwejk sich ihm gegenüber niedersetzte, Pflaumenwein trank, den ihm der Wirt einschenkte, und anfing, von seiner Kindheit und seinem Leben zu erzählen.

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Im Gespräch versunken bemerkten sie nicht einmal, wie die Sonne im Hof aufging. Schließlich informiert Schwejk den Besitzer des Gasthauses über seine Tradition: In neuen Ländern und Städten hinterlässt ein tapferer Krieger eine kleine Bronzefigur mit seinem Bild. Die Skulptur ist ein Symbol für die Bewegungsfreiheit der Menschen in Kriegszeiten, trotz der Risiken und der lähmenden Bürokratie. Wer genau hinschaut, kann an den Geländern sogar Kugelspuren aus dem Zweiten Weltkrieg erkennen. Sehr symbolisch, finde ich.

Wie auch die Tatsache, dass das Konzert in der Philharmonie, das mit so viel Mühe von der Dirigentin Viktoria Tsanko und ihren Musikern vorbereitet wurde, wegen der Drohung eines Raketenangriffs auf unbestimmte Zeit verschoben werden musste… Man gibt es uns auch zu fühlen, dass es der Krieg im Land auf vollen Touren läuft.

Erinnert Euch daran, wenn Ihr im Park frei spazieren könnt, wenn Ihr zu Hause ruhig ein Buch lesen könnt oder im Club tanzen, oder sich in der Stadt mit Freunden treffen, oder was auch immer, dann ist es nicht selbstverständlich und überhaupt nicht umsonst! Dafür hat man schon früher zahlen müssen, leider nicht mit Geld. Das wäre aber auch eine viel zu einfache Lösung gewesen.

Anmerkungen:

*   https://www.facebook.com/100047387713799/videos/1566911743744768/
** Ungvar (ungarisch) – bedeutet Ungarn

Text und Bilder: Alexander Chabanov

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