24.10.2022
Unsere wöchentliche Kolumne "Neues aus Transkarpatien" ist zurück: Erstmals seit fast drei Monaten schreibt hier wieder unser Mitarbeiter aus Uschgorod, Alexander Chabanov, über aktuelle Ereignisse, Historie und Kultur in der Region Transkarpatien: Diesmal präsentiert er ein Interview mit dem bekannten Maler Wassyl Swaljawtschyk aus Uschgorod.
Maler Swaljawtschyk: „Mein Schicksal ist meine Malerei“
Sollte ich gefragt werden, wo die Muse zu Hause sei in Uschgorod, dann wäre meine Antwort schnell und knapp: Bei Swaljawtschyks! Jeder Uschgoroder kennt das hellgrüne Gebäude an der Ecke Schewtschenko-Strasse und Mytna-Strasse, gerade da, „wo die schönste Bushaltestelle ist“, so Wassyl Swaljawtschyk selber. Das große hellgrüne gutbürgerliche Einfamilienhaus bietet genug Platz für die ganze Familie Swaljawtschyk. Hier logiert der bekannteste Maler von Transkarpatien Wassyl mit seiner Frau Slawa, hier wohnt sein Sohn Peter mit seiner Familie. Hier befindet sich auch das Studio des Meisters und dort bringt er seinen Enkelkindern das Malen bei.
Die Tür zu dieser im wahrsten Sinne malerischen Welt öffnete mir aber eine andere Kunstart - und zwar die Musik. Im Sommer 2022 berichteten wir darüber, dass eine Musikgruppe aus Uschgorod an den von Barbara Baier organisierten Friedenskonzerten in Deutschland teilnahm. Die Dirigentin der Gruppe war Viktoria Tsanko (geb. Swaljawtschyk), die Tochter von Slawa und Wassyl Swaljawtschyk. Zusammen mit dem Zamirchor Bayreuth und dem Deutschen Radio Kammerorchester (DRKO) gab sie Gedenk- und Friedenskonzerte in Halle, Bamberg und Bayreuth mit insgesamt 120 Musikern aus aller Welt.
Und da ich als Freund der Familie (und nicht nur als Interviewer) eingeladen wurde, nahm sich der Künstler reichlich Zeit, um mir den Hof, das Studio, das Gebäude selbst und natürlich seine eigenen Bilder zu zeigen. Das Gebäude ähnelt eher einem Museum, so viele Bilder sind da. Es gibt kaum ein Museum in Transkarpatien, das nicht zumindest ein Kunstwerk von einem Swaljawtschyk (sein Sohn Peter ist auch ein bekannter Maler) in seinem Besitz hat. Ihre Bilder mit ukrainischen Motiven sind über die ganze Welt zerstreut. Man kann sie in Museen und Privatsammlungen in Europa, Amerika, Japan und China zu Gesicht bekommen.
Alexander Chabanov: Herr Swaljawtschyk, wie sind Sie zum Malen gekommen. Wann haben Sie verstanden, dass Malen Ihr Schicksal ist?
Wassyl Swaljawtschyk: Das habe ich schon einhundertfünzig Mal erzählt (lacht). In jedem Interview… Ich habe schon immer gemalt. Kinder können zuerst nicht Lesen und Schreiben. Sie drücken ihre Emotionen mit Malen aus. So war es auch bei mir und es blieb mein ganzes Leben lang so. Als Teenager habe ich schon mit Malen mein erstes Geld verdient. Mal sollte ich jemandem im Dorf die Pforte bemalen, einem anderen den Zaun usw. Der entscheidende Moment war aber nach der Schulzeit. Da überredete mich mein Freund, mit ihm in die technische Fachschule zu gehen. Zwei Monate später habe ich meinen Vater mit Tränen in Augen gebeten, mich da abzuholen.
AC: So schlimm war es?
WS: Ohne Witz! Ich war damals 16 Jahre alt, habe mit ihm am Bahnhof gestanden und bitterlich geweint. Ja, stell Dir vor, überall Leute und ich heule wie ein Schlosshund und bettle den Vater nur darum an, mich hier wegzubringen. Wahrscheinlich war es der Moment, als ich verstanden habe, dass ich ohne Malen nicht leben kann. Danach bin ich in die Kunstschule von Uschgorod gegangen.
AC: Also, Sie waren schon immer ein Maler?
WS: Nee, nicht ganz. Malen allein ernährt einen nicht, besonders am Anfang. Ich war schon alles Mögliche: Bauarbeiter, Radiomoderator, Musiker, Imker… Leichter aufzuzählen, was ich nicht war. Aber ich habe überall gemalt, wo es nur ging... (lächelt)
AC: Musiker waren Sie also auch?
WS: Ich habe Gitarre gespielt und habe meine Band gegründet, „Slowjany“* hat sie geheißen. Ich habe lange Jahre diese Tätigkeit ausgeübt und erst danach, als ich schon Maler geworden war, musste ich wählen: Entweder Musik oder Malen.
AC: Spielen Sie noch das Instrument?
WS: Nein, fast gar nicht mehr. Da muss man in erster Linie die Finger entwickeln und es läuft anders als beim Malen.
AC: Welche Rolle in Ihrem Werdegang als Künstler spielte Ihre Ehefrau Slawa?
WS: Eine kolossale. Bei ihr finde ich immer Verständnis. Sie ist mein Fels in der Brandung, meine Zuflucht… (Pause) Ihretwegen hat man mich in die Kommunistische Partei nicht aufgenommen… (lacht)
AC: Waren Sie etwa in der Partei?
WS: Ja, drei Monate lang (lacht schon wieder). Es war so… Ich habe schon immer rebelliert und war mit der von den Russen geforderten Lebensgestaltung nicht zufrieden. Und da sagt mein Freund plötzlich: „Du kannst nicht so einfach ein Rebell sein. So änderst Du nichts. Wenn Du etwas verbessern willst, dann musst du auf ihrem Schlachtfeld spielen. Geh in die Partei!“
AC: Und Sie?
WS: Ich bin gegangen, aber die erste Bewerbung wurde abgelehnt mit der Formulierung: „Swaljawtschyk hat eine dekorative Frau und einen bürgerlichen Hund und ein Schwimmbad“.
AC: Eine dekorative Frau? **
WS: Ja! Im Sinne, dass es eine sehr schöne Frau ist, so sagt man bei uns. Und einen bürgerlichen Hund - gemeint war ein schwarzer Königspudel, den ich vom Künstler aus Mukatschewo gekriegt habe, weil der Kleine nicht alleine in seiner Wohnung bleiben wollte und immer geheult hat. „Du magst doch die Hunde und hast einen Hof, nimm den Pudel, es ist mir um das Tier zu schade.“ – hat er mir gesagt. Und so war es.
AC: Typische Kommunisten. Alle müssen gleich sein, hässliche Frauen haben und laute Straßenhunde. (lacht) Was ist mit dem Schwimmbad? Auch eine Nummer zu groß für die Partei?
WS: Die Idee mit dem Swimmingpool am Haus ist nach dem Besjaauch einer Kinderärztin entstanden. Sie meinte, dass Peter einige Probleme mit dem Atmen hatte und unbedingt salzige Meeresluft für die Bronchen brauchte. Da habe ich mir gesagt: „Ich kann den Sohn nicht ans Schwarze Meer bringen, aber ich kann das Meer ans Haus bringen.“ Neben dem Haus hat es eine Kalkgrube gegeben, die ich für den Bau des Hauses benutzt habe. Ich habe das Kalk ausgegraben und den Platz, 5 Meter lang mal 4 Meter breit, erweitert. Danach bin ins Geschäft gegangen und habe eine Menge Salz gekauft, im warmen Wasser aufgelöst und ins Schwimmbad hineingetan. Alle Kinder auf unserer Straße sind zu uns gekommen und haben gebadet! Und es gab so viel Salz drin, dass sie vollkommen weiß danach geworden sind und mussten wieder duschen.
AC: Aber beim zweiten Mal hat es geklappt, oder?
WS: Komischerweise, weil ich beim Bewerbungsgespräch ehrlich gesagt habe: „Ich gehe in die Partei, um sie zu ruinieren!“ Alle haben gelacht, drei Monate später ereignete sich der Zerfall der Sowjetunion und jener der Kommunistischen Partei in der Folge.
AC: Ziel erreicht!
WS: In der Tat! (lachen beide)
Wir haben noch lange geredet. Über Wassyls Jugendjahre, seine großen Mallehrer, die Rolle der Familie im Leben des Künstlers und die Rolle eines Künstlers in der Gesellschaft. Dann kam langsam das Wort „Krieg“ ins Gespräch. Das Leben der Künstlerfamilie änderte sich seit der russischen Aggression gegen die Ukraine drastisch. Und hier geht es nicht um den 24. Februar 2022, sondern um den Anfang der hinterlistigen Aggression seit 2014 im Osten und im Süden des Landes und die Annexion der Krim. Seitdem beschäftigt sich die Familie des Malers mit der Förderung der ukrainischen Streitkräfte, engagiert sich für die Gesellschaft in Transkarpatien und leistet Medienunterstützung weltweit.
Anmerkungen:
*Slowjany bedeutet auf Ukrainisch Slawen
** eine dekorative Frau - in dem Moment musste ich wirklich lachen, weil dies sprachlich ein Juwel ist, ein geflügeltes Wort, welches man in der Ukraine üblicherweise so nicht sagt, nur hier in Transkarpatien hört man es.
Text: Alexander Chabanov
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