In unserer neuesten Ausgabe unserer Miniinterview-Reihe #verbunden_mit, in welcher wir interessante Personen und Persönlichkeiten aus den Reihen der deutschen Minderheiten und deutschsprachigen Gemeinschaften und solche, die mit ihnen oder der Stiftung Verbundenheit verbunden sind, näher kennenlernen, sprechen wir mit Jana Aufderheide (@jana_imdeutschenhaus), die im Auftrag des Goethe-Instituts in Kirgistan als Sprachassistenz in Bischkek aktiv die Spracharbeit bei der dortigen Deutschen Minderheit gestaltet und dabei auch ihr Umfeld kennengelernt hat - über das Land, die Menschen, die Aufgaben als Sprachassistentin und die Wichtigkeit der Deutschen Sprache in der Deutschen Minderheit.
Jana, Du bist Sprachassistentin des Goethe-Instituts und nun in Bischkek bei der Deutschen Minderheit in Kirgistan. Wie bist Du auf diese Möglichkeit, also auf diese Stelle aufmerksam geworden?
Ich interessiere mich schon für Zentralasien seit ich eine kirgisisch-deutsche Beziehung geführt habe. Als diese schließlich endete, blieben das Interesse und die Liebe für die Region und speziell für Kirgisistan. Gegen Ende meines Studiums letztes Jahr begab ich mich auf die erste richtige Arbeitssuche, wollte ursprünglich nach Honduras, stieß aber dann auf der Website des Goethe-Instituts auf die Stelle der Sprachassistenz in Bischkek. Da diese nicht nur eine Lehrtätigkeit, sondern auch die Planung und Durchführung von Kulturprogrammen beinhaltete, erschien sie mir attraktiver als eine reine Lehrtätigkeit in Honduras und ich bewarb mich erfolgreich.
Wie hast Du Dich in Kirgistan eingelebt? Was macht das Land aus Deiner Sicht so besonders?
Dieser Aufenthalt in Kirgistan ist bereits mein zweiter. Letztes Jahr kam ich im Winter für ein zweimonatiges Praktikum nach Bischkek und bereits damals hat es mir gut gefallen, doch die vergangenen Monate haben mich das Land wahrlich lieben gelehrt. Bischkek im Sommer ist ein wunderbarer Ort. Nachts durch den Erkindik-Park spazieren und die vielen Kinder beobachten, die aus deutscher Sicht längst ins Bett gehörten; der Luxus, seit Monaten keine Jacke mehr getragen zu haben und im Hintergrund immer die massigen Berge, deren Schneehüten man beim Schmelzen zuschauen kann.
Wenn ich eine Liebeserklärung an Kirgisistan schreibe, dann ist es vor allem eine an Bischkek. Laut, von Baustellen entstellt und Abgase in der Luft – aber dennoch der Ort, an dem ich am liebsten verweilen und Wurzeln schlagen würde. Es ist etwas an der Architektur, zwischen Sowjetidentität, Seidenstraße und Moderne; in der verhaltenen Religiosität; in der Schlichtheit der Gerichte, aus denen man sowohl das Nomadentum als auch die reiche Geschichte des Landes herausschmecken kann - in der Gastfreundschaft und Entspanntheit der Menschen hier. Ein Ort zwischen mächtigen Weltakteuren, der zu 93 Prozent aus Bergen besteht und dessen Hauptstadt in ihrer Fläche kleiner ist als meine Studi-Stadt Bochum. Es ist eine Gemütlichkeit, die vage verträumt wirkt, fast verpeilt vielleicht, stets ein bisschen zu spät, weniger fancy als Almaty im Norden, nicht so hoch hinaus wie Taschkent im Westen, auf dem Boden geblieben und doch vorwärtsstrebend, junge Leute überall, die bewegen wollen, was stillsteht. Bischkek ist ein Ort, an dem ich meinen Stechschritt verlangsamen kann und dennoch immer irgendwo ankomme, an dem ich aufgenommen und willkommen geheißen werde.
Vor allem aber schafften dies meine Freundinnen und Freunde, die zu treffen ich das wahnsinnige Glück hatte. Bereits in meiner zweiten Woche hier meldete ich mich bei einer Bachata-Tanzschule in meiner Nähe an und begann mit Tanzstunden – mein erster richtiger Tanzunterricht und ohne viel von den russischen Erklärungen zu verstehen. Doch mit der Zeit fand ich dort nicht nur meinen Happy-Place, sondern schloss mit den anderen Anfängerinnen und Anfängern aus meinem Kurs enge Freundschaften. Sie sind es, die meine Zeit hier wirklich besonders machen. Ob auf Russisch, Englisch oder Kirgisisch, wir verstehen uns. Und wenn ich am Ende zurückblicke, werden die Momente mit ihnen sicher meine wertvollsten sein.
Die Stelle als Sprachassistentin läuft sechs Monate. Was ist die Aufgabe einer Sprachassistentin? Was sind Deine Ziele innerhalb dieser Zeit bei der Deutschen Minderheit in Kirgistan? Welche konkreten Initiativen führst Du durch?
Ja, meine Stelle läuft leider nur sechs Monate – ein Fakt, der mich, wie wahrscheinlich schon deutlich geworden, sehr traurig stimmt. In diesen sechs Monaten unterrichte und assistiere ich in den Kursen des Deutschen Hauses in Bischkek und bringe vor allem landeskundliche Perspektiven mit in den Unterricht. Neben dem regulären Unterricht bereite ich auch themenspezifische Sprachclubs für meine Kolleginnen und Kollegen vor – zum Beispiel zum Thema „Gendern“, ein Aspekt, der in ihrer täglichen Kommunikation mit deutschen Partnern eine immer größere Rolle spielt und den ich generell als eine sehr positive Sprachentwicklung betrachte. Außerdem finden Sprachclubs und Kulturveranstaltungen für interessierte Teilnehmende statt. Wir haben schon Picknicks, Stadttouren und Filmabende zusammen gemacht und dabei immer das aktuelle Deutschlandbild erforscht. Mir ist aber stets wichtig, dass meine Lernenden aus den Veranstaltungen auch etwas für ihren Alltag mitnehmen – schließlich ist Deutschland weit entfernt und oftmals fremd. Daher versuche ich immer einen vergleichenden Ansatz zu finden und Lebensrealitäten aus Kirgisistan mit jenen aus Deutschland zu kombinieren. Generell würde ich jedoch nicht sagen, dass ich eine spezielle Initiative durchführe, ich versuche einfach präsent und ansprechbar zu sein, zu verstehen, was vor Ort gebraucht und erwartet wird und wie ich konstruktiv zur Arbeit meiner lieben Kolleginnen und Kollegen beitragen kann. Gemeinsamer Austausch über Landes- und Kulturgrenzen hinweg, unabhängig von Alter, Nationalität oder Sprache, erweitert stets unseren Horizont, und das ist meiner Meinung nach das, was meine Stelle hier ausmacht und worum es im Weitesten geht: Verständnis füreinander zu schaffen, persönliche Kontakte und Netze zu knüpfen und tolerant für sich unterscheidende Lebensrealitäten zu sein, zu bleiben und zu werden.
Neben der deutschen Sprache an sich ist ja auch Landeskunde und Kultur im außerschulischen Bereich ein Thema der Sprachassistenz. Inwieweit kann man als Sprachassistentin ein modernes und realistisches Deutschlandbild vermitteln?
Ein realistisches Deutschlandbild ist etwas sehr, sehr komplexes. Ich kann dazu beitragen, es zu erweitern, doch so weit weg von Deutschland – trotz ähnlicher Traditionen und teils familiären Beziehungen dorthin – kann vor Ort nur ein Fenster geöffnet werden. Zudem stellt sich mir die Frage, was denn ein realistisches Deutschlandbild eigentlich ist. Was gehört alles dazu? Dass ich noch nie auf einem Oktoberfest war? Dass das häufigste Ruhrpott-Gericht eigentlich der Döner ist? Dass fast die gesamte deutschsprachige Rap-Szene aus Menschen mit Migrationsgeschichte besteht? Dass die AfD stärker wird, während man in Köln und ganz Deutschland den CSD feiert, bunt, laut und hoffentlich stärker denn je? Selbst, wenn ich all diese Themen abdecken würde, wäre Deutschland dennoch nur eine Karikatur. Ich hoffe aber, dass meine Kulturaktionen zu ebensolchen Themen, die mal ganz direkt und mal ganz unterschwellig angesprochen werden, Perspektiven erweitern. Nicht nur auf Deutschland, sondern auch auf das eigene Leben, und nicht nur bei meinen Teilnehmenden, sondern auch bei mir. Wir lernen voneinander, wir lernen uns kennen und mögen, wir lernen einander wertzuschätzen und auch ab und zu unterschiedlicher Meinung zu sein. Wir lernen Diskussionen zu führen und uns nicht in Sturheit zu flüchten. In diesen Punkten sehe ich meine Aufgabe als Sprachassistentin. Der Blick auf Deutschland als Instrument, die Welt ein wenig vielschichtiger zu gestalten – auf beiden Seiten.
Wie siehst Du das sprachliche Potential bei der Deutschen Minderheit? Du bist ja auch im gesamten Land bei den Gruppen der Deutschen Minderheit unterwegs. Wie ist da Dein Eindruck? Wie groß ist das Interesse an der deutschen Sprache und die Motivation zum Erlernen dieser?
Das Interesse daran Deutsch zu lernen und die Sprachtraditionen der Vorfahren aufrechtzuerhalten, ist auch nach so vielen Jahren noch vorhanden. Die Menschen sehen sich als Deutsch, in ihren Pässen steht unter „Nationalität“ Deutsch, sie haben Freunde, Verwandte und Bekannte in Deutschland, haben Gerichte und Traditionen und intensive Familienerzählungen, die sie auch heute noch mit Deutschland verbinden. Die Motivation hängt dabei jedoch ganz von der Zielvorstellung der Teilnehmenden ab. Vor allem meine jungen Lernenden können sich eine Zukunft in Deutschland vorstellen, eine Ausbildung oder ein Studium; während die Älteren aus Wertschätzung ihrer Identität oder als Hobby Deutsch lernen. Mit dem Inkrafttreten des sogenannten „Aussiedlergesetzes“ sind allerdings viele Angehörige der Deutschen Minderheit nach Deutschland umgesiedelt, was zu einer drastischen Verkleinerung der Communities im Ausland geführt hat. Auch in Kirgisistan ist spürbar, dass von einst vielen heute nur noch ein vergleichbar kleiner Teil geblieben ist. Umso spannender und beeindruckender also ihr Einsatz, die Traditionen und Sprache aufrechtzuerhalten und weiterzugeben, umso beeindruckender die investierte Zeit und der damit verbundene Aufwand. Am Ende ist es vielleicht nicht so wichtig, ob die Angehörigen der Deutschen Minderheit in Kirgisistan auf muttersprachlichem Niveau Deutsch sprechen, sondern vielmehr, dass sie sich ihrer Geschichte und ihrem reichen Erbe bewusst sind, dass sich nicht nur auf die deutsche Herkunft bezieht, sondern sich in vielen Familiengeschichten einen weiten Weg durch Russland und Kasachstan bis nach Kirgisistan gebahnt hat.
Liebe Jana, vielen Dank für die Beantwortung unserer Fragen und Deine wichtige Arbeit bei der Deutschen Minderheit in Kirgistan.


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