Das Internationale Parlaments-Stipendium (IPS) ist ein jährlich stattfindendes Stipendienprogramm des Deutschen Bundestages für junge engagierte Menschen aus Mittel- und Osteuropa sowie den Ländern des arabischen Raums, Nord- und Lateinamerika sowie Frankreich und Israel. In diesem Jahr haben auch zwei Personen teilgenommen, die aus einer deutschen Minderheit kommen bzw. mit der Stiftung Verbundenheit verbunden sind. In der aktuellen Ausgabe unserer Miniinterview-Reihe sprechen wir mit Kristina Larina, Vorsitzende der Jugendorganisation der Deutschen Minderheit in Kasachstan (Verband der Deutschen Jugend Kasachstans, VDJK) und Nicolas Castiblanco Aguilar aus Kolumbien, aktives Mitglied der Stiftungsinitiative #JungesNetzwerk.
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Lieber Nicolas, liebe Kristina, Ihr habt Euch für das Internationale Parlaments-Stipendium (IPS) beworben. Was war und ist Eure Motivation dafür gewesen?
KL: Als Vorsitzende des Verbands der Deutschen Jugend Kasachstans habe ich gemerkt, dass ich mich weiterentwickeln und neue Herausforderungen annehmen möchte. Die Ausschreibung für das IPS habe ich in unserer deutschsprachigen Zeitung in Kasachstan und auch über das Deutsche Generalkonsulat gesehen. Das hat sofort mein Interesse geweckt. Ich dachte mir: Warum eigentlich nicht? Die Möglichkeit, für einige Monate in Berlin zu leben, direkt im politischen Zentrum Deutschlands. Das hat mich sofort fasziniert. Meine Motivation war es, tiefer in die deutsche Sprache einzutauchen und sie im Alltag zu nutzen, auch die Demokratie hautnah zu erleben, meinen Horizont zu erweitern, Deutschland aus nächster Nähe zu erleben, über einen längeren Zeitraum in Europa zu leben – in Berlin – und den politischen Alltag in einem demokratischen Land kennenzulernen. Der Schriftzug „Dem Deutschen Volke“ über dem Portal des Bundestags hat für mich eine besondere Bedeutung: Als Angehörige der Deutschen Minderheit in Kasachstan fühle ich mich mit dieser Botschaft sehr verbunden. Das IPS ist für mich nicht nur ein Praktikum, sondern eine Möglichkeit, Brückenbauerin zwischen Kasachstan und Deutschland zu sein. Und ich wollte vor allem eines herausfinden: Kann ich das wirklich? Und wenn ja – dann kann mein Weg vielleicht auch andere junge Menschen inspirieren, sich ebenfalls für internationale Programme und politische Bildung zu interessieren.
NC: Meine berufliche Motivation konzentriert sich auf Energiepolitik und Elektromobilität. Im Mittelpunkt stehen die Herausforderungen der Energiewende und ihre Folgen für die Wirtschaft: Energiepreise, Stabilität, Zuverlässigkeit, Versorgung sowie Abhängigkeiten in Zeiten globaler geopolitischer Spannungen. Das IPS gibt mir die Gelegenheit, die politischen Entscheidungsprozesse in der Bundesrepublik Deutschland aus erster Hand kennenzulernen, nicht nur in meinen Fachgebieten, sondern im gesamten Spektrum nationaler und internationaler Themen. Im Bundestag habe ich gesehen, wie Politik in den unterschiedlichen exekutiven und legislativen Organen gestaltet wird; ich konnte der Wahl des Bundeskanzlers, der Kabinettsbildung und der Veröffentlichung des aktuellen Koalitionsvertrags beiwohnen. Außerdem ist das IPS für mich eine Chance, die Beziehungen zwischen Kolumbien und Deutschland zu vertiefen. Ich vertrete mein Land im parlamentarischen Alltag und fungiere zugleich als „Übersetzer“ der politischen Abläufe, weil Kolumbien präsidial geprägt ist, Deutschland hingegen parlamentarisch. Mit dem im Bundestag erworbenen Wissen möchte ich künftig alle bilateralen Aktivitäten weiter intensivieren.
Was hattet Ihr im Vorfeld vom IPS erwartet und was konntet Ihr dann tatsächlich für Euch mitnehmen? Welche Eindrücke habt Ihr?
KL: Ich hatte – wie erwähnt - erwartet, mein Deutsch zu verbessern, in Berlin zu leben und ein Verständnis für die parlamentarischen Abläufe in Deutschland zu gewinnen. Was ich bekommen habe, war viel mehr: ein intensives, durchdachtes Programm, das uns nicht nur mit der Geschichte und der politischen Kultur Deutschlands vertraut gemacht hat, sondern uns auch die Möglichkeit gegeben hat, uns mit jungen Menschen aus aller Welt zu vernetzen. Es war nicht nur ein Sprachaufenthalt oder ein Praktikum – es war eine intensive Zeit voller Begegnungen, Debatten, Workshops, historischer Orte, Exkursionen und tiefgehender politischer Reflexion. Wir wurden durch das Programm systematisch aufgebaut – mit Seminaren, Besuchen in Ministerien, mit Gesprächen mit Expertinnen und Experten. Ich konnte zum ersten Mal direkt erleben, wie im Bundestag Gesetze entstehen, wie politische Entscheidungen getroffen und debattiert werden – und ja, ich saß im Plenarsaal, bei den Fraktionen, bei den Ausschüssen. Für meine eigene Arbeit hat mir das IPS enorm viel gebracht: Ich bin heute politisch wacher, informierter und engagierter. Ich lese täglich Nachrichten, verfolge Debatten, kann Fragen an mein Abgeordnetenbüro stellen –und ich sehe meine Rolle als Jugendleiterin in Kasachstan mit noch mehr Verantwortung. Vor allem nehme ich aus dem IPS mit, dass Netzwerke, Bildung und Demokratie keine abstrakten Begriffe sind, sondern etwas ganz Praktisches. Ich bin sehr dankbar für diese Erfahrung – und möchte, dass noch viel mehr junge Menschen aus Kasachstan und aus der deutschen Minderheit davon erfahren. Besonders beeindruckt hat mich die Professionalität der Auswahl und die Vielfalt meiner Mitstipendiaten. Ich sehe nun noch klarer, wie wichtig internationale Verständigung ist und welche Rolle die deutsche Minderheit dabei spielen kann. In Zukunft möchte ich besonders in den Bereichen Jugendaustausch und internationale Zusammenarbeit aktiv Brücken bauen. Ich sehe großes Potenzial darin, Projekte zu initiieren, die den interkulturellen Dialog zwischen der kasachischen und der deutschen Jugend fördern. Es geht mir darum, gegenseitiges Verständnis zu schaffen und gemeinsam an Lösungen für globale Herausforderungen zu arbeiten. Ich möchte zeigen, dass unsere Stimme zählt – und dass Vielfalt eine Stärke ist. Das IPS hat mir gezeigt, wie viel Einfluss persönliche Geschichten und Netzwerke haben können. Diese Erfahrung möchte ich weitergeben und andere junge Menschen inspirieren, ebenfalls neue Wege zu gehen.
NC: Das IPS hat mir viel mehr ermöglicht, als ich erwartet hatte. Es kooperiert mit den Berliner Universitäten sowie mit den wichtigsten politischen Stiftungen. Ich habe Universitätskurse, politische Seminare und Trainings zu Diplomatie und Konfliktlösung absolviert. Durch den Austausch mit 90 Stipendiatinnen und Stipendiaten aus 38 Ländern habe ich andere Kulturen und Arbeitsweisen kennengelernt, was meine internationale Kooperationsfähigkeit deutlich gestärkt hat. Ich nehme ein unschätzbares Maß an Wissen in allen politisch und diplomatisch relevanten Bereichen mit. Besonders hilfreich für meine künftigen beruflichen und ehrenamtlichen Aufgaben ist das Verständnis für den deutschen Gesetzgebungsprozess: von der Erstellung eines Gesetzentwurfs, über die Ausschussarbeit und Mehrheitsfindung bis zur Umsetzung und Kontrolle durch das Parlament.
Das IPS hat ja auch immer das Ziel, die Festigung der bilateralen Beziehungen mit den teilnehmenden Ländern zu leisten. Wie würdet Ihr die derzeitigen Beziehungen Eurer Länder zu Deutschland beschreiben?
KL: Die Beziehungen zwischen Kasachstan und Deutschland befinden sich derzeit auf einem sehr guten, partnerschaftlichen Niveau. In den letzten Jahren hat sich die Zusammenarbeit vertieft und ausgeweitet. So entwickelt sich Kasachstan aktuell zu einem der wichtigsten Rohstofflieferanten Deutschlands – insbesondere für Erdöl, seltene Erden und grünen Wasserstoff. Doch Deutschland und Kasachstan verbindet weit mehr als nur wirtschaftliches Interesse. Die politischen Beziehungen sind von gegenseitigem Respekt und Offenheit geprägt.
NC: Die Beziehungen zwischen Kolumbien und Deutschland sind meiner Meinung nach derzeit sehr solide. Aus energiewirtschaftlicher Sicht begrüße ich die 2023 geschlossene Allianz für das Klima und eine gerechte Energiewende, die den gemeinsamen Einsatz für Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung festigt und konkrete Umweltschutzmaßnahmen in beiden Ländern fördert. Als DAAD-Alumnus freue ich mich ebenso, dass Kolumbien weiterhin Rekordzahlen bei Studierenden verzeichnet, die in Deutschland studieren. 2024 belegte Kolumbien den ersten Platz in Lateinamerika bei DAAD-Stipendien und verdoppelte damit sogar die Zahlen von Brasilien oder Chile.
Welche Rolle spielen Eurer Meinung nach die deutschen Minderheiten bzw. die deutschen Gemeinschaften im Verhältnis zwischen Deutschland und Eurem jeweiligen Land, also Kasachstan und Kolumbien?
KL: Die Deutsche Minderheit in Kasachstan spielt mit über 226.000 Angehörigen eine zentrale Rolle als kulturelle und gesellschaftliche Brücke zwischen beiden Ländern. Ich stimme mit Jewgeni Bolgert, Senator im kasachischen Oberhaus und Vorsitzender der Stiftung „Wiedergeburt“, vollkommen überein, wenn er sagt: „Die Deutschen Kasachstans sind vollständig in das gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Leben integriert. Ihre Zweisprachigkeit und internationale Ausrichtung ist ein Mehrwert für den Staat.“ Bolgert selbst wurde vom Präsidenten Tokajew als Senator vorgeschlagen – ein starkes Zeichen für die Gleichberechtigung und aktive Mitwirkung der Deutschen Minderheit in Kasachstan. Ich erlebe es auch beim Verband der Deutschen Jugend Kasachstans. Unsere Jugendprojekte und die deutsch-kasachischen Kulturzentren sind konkrete Beispiele dafür, wie die Deutsche Minderheit nicht nur ihre eigene Identität bewahrt, sondern zugleich als Brückenbauerin wirkt.
NC: In meiner Laufbahn stand ich weniger mit deutschen Gemeinschaften als vielmehr mit kolumbianischen Gruppen in Kontakt, die sich für Deutschland interessieren – so bin ich auch Teil des Netzwerkes der Stiftung Verbundenheit geworden und fungierte im vergangenen Jahr als Ansprechperson der Stiftungsinitiative #JungesNetzwerk Kolumbien. Diese Gruppen wirken als Multiplikatoren und sind essenziell für die tägliche Stärkung der deutsch-kolumbianischen Zusammenarbeit, besonders auf zivilgesellschaftlicher Ebene.
Die junge Generation in anderen Ländern will nicht nur über Deutschland sprechen, sondern auch nach Deutschland reisen und das Land live erleben. Ihr habt es geschafft. Wie kann man das in Zukunft noch mehr oder besser machen? Habt Ihr Ideen? Was haltet Ihr von Work-&-Travel-Programmen für junge Menschen aus den deutschen Minderheiten oder den deutschsprachigen Gemeinschaften?
KL: Ich denke, es gibt bereits viele bestehende Programme, an denen junge Menschen teilnehmen können – sei es als Au-pair, durch eine Ausbildung, über Erasmus+ oder andere Austausch- und Bildungsformate. Gerade bei Jugendlichen aus dem Ausland ist das Interesse groß, Deutschland nicht nur theoretisch kennenzulernen, sondern es auch praktisch zu erleben. Ein zentrales Thema dabei ist jedoch die Sprache. Viele Programme stehen grundsätzlich allen offen, nicht nur der Deutschen Minderheit – aber ohne Deutschkenntnisse ist die Teilnahme oft schwierig. Deshalb wäre es wichtig, frühzeitig in Sprachförderung zu investieren – besonders für junge Menschen mit deutschem Hintergrund, die das Potenzial haben, Brückenbauer zwischen den Kulturen zu sein. Ich finde die Idee von speziellen Work-&-Travel-Programmen für Jugendliche aus der Deutschen Minderheit sehr spannend. Sie könnten einerseits jungen Menschen ermöglichen, praktische Erfahrungen in Deutschland zu sammeln, und andererseits die Verbindung zwischen Deutschland und den Herkunftsländern der Minderheiten – wie zum Beispiel Kasachstan – stärken. Solche Programme könnten sich zum Beispiel auf soziale oder ökologische Projekte in den Bereichen Nachhaltigkeit, Pflege, Bildung oder Kulturarbeit konzentrieren. Ein Mix aus Sprachkurs, Arbeit und Kulturangeboten wäre auch interessant, ebenso wie Jugendaustausche im Tandem-Format zwischen Deutschland und dem jeweiligen anderen Land oder Sommercamps in Deutschland mit Fokus auf Sprache, Geschichte und Identität. Außerdem könnte man auch bestehende Formate, wie z. B. das Freiwillige Soziale Jahr oder Praktika im Rahmen von Studienaufenthalten, gezielt für diese Zielgruppe öffnen und bewerben. Denkbar wären auch digitale Vorbereitungskurse oder Mentoring-Programme mit ehemaligen Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die ihre Erfahrungen weitergeben. Ich selbst bin ein großer Fan solcher Austauscherfahrungen – sie fördern nicht nur die persönliche Entwicklung, sondern auch den interkulturellen Dialog. Deshalb würde ich es sehr begrüßen, wenn es künftig mehr zielgerichtete Angebote für junge Menschen aus den deutschen Minderheiten gäbe. Natürlich muss man immer schauen, wie solche Ideen konkret umzusetzen sind.
NC: Der DAAD vereint die meisten jungen Studierenden, die sich für Deutschland interessieren. Auch meine ersten Aufenthalte basierten auf DAAD-Stipendien. Es gibt jedoch weitere einflussreiche Institutionen, etwa die politischen Stiftungen, die Themen von großem Interesse für die Jugendbearbeiten. Die Zusammenarbeit zwischen Stiftungen und jungen Menschen bietet noch viel Potenzial in sozialen, kulturellen und politischen Bereichen. Ein positives Beispiel ist die Delegationsreise der Stiftung Verbundenheit für engagierte lateinamerikanische Freiwillige, die sozial, kulturell und politisch direkte und starke Bindungen zu Deutschland fördert. Work-and-Travel-Programmehalte ich ebenfalls für eine gute Möglichkeit, den kulturellen Austauschlangfristig zu vertiefen.
Kurz und knapp: Was konnte Euch das Internationale Parlamentsstipendium geben? Woran werdet Ihr Euch erinnern?
KL: Es war ein riesiger Gewinn. Der feierliche Empfang im Paul-Löbe-Haus des Bundestags, bei dem wir als Vertreterinnen Kasachstans unser Land durch traditionelle Lieder, Tänze, Kleidung und Spezialitäten präsentieren durften. Darüber hinaus bot mir das IPS-Programm die Möglichkeit, in einem Abgeordnetenbüro mitzuarbeiten, politische Prozesse hautnah mitzuerleben und mein Fachvokabular in der deutschen Sprache gezielt auszubauen. Ich konnte zusätzlich an Kursen und Seminaren an der Humboldt-Universität zu Berlin teilnehmen. Und nicht zuletzt: Auch das Reisen innerhalb Deutschlands und Europas hat meinen Horizont erweitert. Ob ein Wochenendausflug nach Leipzig, eine Studienreise nach Bonn oder spontane Besuche in anderen Städten – jede Reise war eine neue Entdeckung. Ich konnte meine Deutschkenntnisse im Alltag, im Bundestag und in Diskussionen deutlich verbessern – das war ein echter Sprach-Booster. Außerdem habe ich viele neue Kontakte geknüpft - sowohl zu anderen IPS-Stipendiatinnen und Stipendiaten aus aller Welt als auch zu jungen Menschen in Deutschland, sei es in der WG, bei Projekten oder im politischen Umfeld. Und ganz ehrlich: auch auf persönlicher Ebene habe ich viel mitgenommen – neue Perspektiven, neue Freundschaften, mehr Selbstvertrauen. Ich würde jedem empfehlen, sich zu bewerben!
NC: Mein IPS-Aufenthalt hat meine beruflichen Fähigkeiten auf ein neues Niveau gehoben. Ich habe meine Deutschkenntnisse in kurzer Zeit deutlich verbessert. Die tägliche politische Arbeit zu unterschiedlichsten Themen stärkte meine Fähigkeit, Probleme aus verschiedenen Perspektiven zu analysieren. Zusammenarbeit und Austausch mit den anderen Stipendiatinnen und Stipendiaten haben meine Führungsqualitäten, emotionale Intelligenz, Argumentationsfähigkeit und mein Netzwerk erweitert. Aktivitäten, Seminare, Trainings, Reisen und Veranstaltungen parallel zu meinem Praktikum im Bundestag haben mein Zeitmanagement optimiert und meine Fähigkeit erhöht, mehrere Projekte gleichzeitig und effektiv zu betreuen – sowohl individuell als auch im Team.