Das 23. VLÖ-Volksgruppensymposium im Wiener „Haus der Heimat“ versammelte hochrangige Vertreter aus Politik, Diplomatie und Kultur. Im Zentrum der zweitägigen Veranstaltung standen das Gedenken an 80 Jahre Flucht und Vertreibung, die Zukunft des „Hauses der Heimat“ als zentraler „Lernort Österreich“ und die bleibende Relevanz historischer Dokumente wie des Völkermanifests für ein geeintes, föderales Europa.
Unter dem Leitthema „80 Jahre – Vertriebene und Verbliebene – In zwei Welten“ fand am 15. und 16. Oktober 2025 das 23. VLÖ-Volksgruppensymposium des „Verbands der deutschen altösterreichischen Landsmannschaften in Österreich (VLÖ)“ statt. Das „Haus der Heimat“ in Wien wurde an zwei Tagen zum Treffpunkt für in Summe mehr als 400 Gäste, darunter Folklore- und Kulturgruppen sowie Vertreter der deutschen Volksgruppen aus Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Polen, Rumänien, Serbien und der Ukraine. Die Veranstaltung war geprägt von hochkarätigen Festrednern, tiefgreifenden historischen Analysen und klaren politischen Forderungen, die die Brücke von der Vergangenheit in die Gegenwart schlugen. Bundeskanzler Dr. Christian Stocker, Bürgermeister Dr. Michael Ludwig und Karl von Anliegen.
Mittwoch, 15. Oktober: Festakt zur Eröffnung des Rudolf-Reimann-Saales
Der Auftakt des Symposiums wurde mit einem Festakt begangen, der nicht nur die feierliche Eröffnung des renovierten Saals umfasste, sondern auch eine Plattform für einen eindringlichen Appell an die Spitze der Bundesregierung bot.
.png)
VLÖ-Präsident Norbert Kapeller: Ein Appell zwischen Brandruine und Zukunftsvision
Mit einer emotionalen und politisch pointierten Rede eröffnete VLÖ-Präsident Norbert Kapeller den Abend. Nach der Begrüßung zahlreicher Ehrengäste – darunter Bundeskanzler Stocker, Nationalratspräsident a. D. Wolfgang Sobotka, Vertreter des diplomatischen Korps und Abordnungen der Landsmannschaften – nutzte Kapeller die Gelegenheit für eine unmissverständliche Bestandsaufnahme. Er beschrieb den frisch sanierten Saal, über dem sich jedoch nach der Feuersbrunst im August 2023 eine „Brandruine“ befinde, als „Potemkin’sches Dorf“ – eine Metapher für die Situation der Heimatvertriebenen in ihren jeweiligen Landsmannschaften, deren Substanz gefährdet sei.
Seine direkte Bitte an Bundeskanzler Stocker war klar: Die Bundesregierung möge die vollständige Sanierung des „Hauses der Heimat“ unterstützen, um es zu einem modernen „Lernort Österreich“ auszubauen. „Wir wollen nicht auch noch aus der Geschichte vertrieben werden“, so Kapeller. Um die nachfolgenden Generationen zu erreichen, müsse die Geschichte der deutschen altösterreichischen Heimatvertriebenen zeitgemäß und interaktiv - mit modernsten medialen Mitteln - zugänglich gemacht werden, damit die Jugend einen lebendigen Bezug zu ihrem Erbe findet.
Historisch schlug Kapeller einen scharfen Bogen zu den Ereignissen vor 80 Jahren, die er als „an uns begangenen Suizid“ bezeichnete. Er kritisierte den „Opfermythos“ der Zweiten Republik und die „Verleugnung der eigenen Verantwortung“, etwa beim Weitertransport hunderttausender Heimatvertriebener ins zerstörte Nachkriegsdeutschland oder im Kontext des „Brünner Todesmarsches“, dessen tausende Opfer bei rechtzeitiger Grenzöffnung vermeidbar gewesen wären.
Bundeskanzler Dr. Christian Stocker: Würdigung und Bekräftigung der politischen Unterstützung
In seiner Festansprache reagierte Bundeskanzler Dr. Christian Stocker direkt auf die Anliegen des VLÖ. Er würdigte das unermüdliche Engagement von Präsident Kapeller als „starke Stimme“ des Verbandes und hob die gesamtgesellschaftliche Bedeutung des VLÖ als „Brückenbauer“ hervor. Er betonte, die vielfältige Tätigkeit des Verbandes sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der sich dieser in vorbildlicher Weise widme. Mit Blick auf den dringenden Appell zur Sanierung des „Hauses der Heimat“ zeigte der Bundeskanzler Verständnis für die Komplexität des Anliegens und signalisierte den politischen Willen der Bundesregierung, die Anliegen des VLÖ konstruktiv zu begleiten. Und formulierte dabei zuversichtlich: „Der Wille ist vorhanden, nach den Möglichkeiten werden wir suchen, und ich hoffe, wir werden sie auch finden.“
Im Rahmen des Festakts eröffnete der Bundeskanzler feierlich den renovierten Rudolf-Reimann-Saal, benannt nach dem verdienten Alt-Präsidenten des VLÖ, dessen Witwe Edith Urbanner anwesend war.
Donnerstag, 16. Oktober: Ausstellung, Geschichte und europäische Perspektiven
Eröffnung der Ausstellung „In zwei Welten“ – Wiens Bekenntnis zur Vielfalt Der zweite Tag begann mit der Eröffnung der Wanderausstellung „In zwei Welten – Deutsche Minderheiten stellen sich vor“.
Bernard Gaida, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Minderheiten (AGDM), erläuterte das tiefgründige Konzept der Ausstellung. Sie zeige die lebendige Gegenwart der deutschen Minderheiten, die „in zwei Welten“ leben: verankert in ihrer deutschen Kultur und gleichzeitig als loyale Bürger ihrer Heimatstaaten.
Die Ausstellung sei ein Gemeinschaftsprojekt der Minderheiten, um sich selbst und die Mehrheitsgesellschaften über ihre Geschichte, ihre Gegenwart und die Herausforderungen wie Assimilation und Sprachverlust aufzuklären. Mit dem Zitat von Wilhelm von Humboldt, „Heimat ist vor allem Sprache“, unterstrich er die fundamentale Notwendigkeit der Unterstützung durch die „Mutterländer“ Deutschland und Österreich, insbesondere im Bildungsbereich.
Bürgermeister Dr. Michael Ludwig hielt eine ausführliche und wertschätzende Ansprache, in der er die besondere Rolle Wiens als Ort der Begegnung hervorhob. Er würdigte das „Haus der Heimat“ als einen zentralen Ort der Kulturpflege und des Gedenkens. Ausführlich ging er darauf ein, dass Wien aufgrund seiner historischen Rolle als Zentrum zahlreicher Völker und Kulturen eine Tradition der Offenheit pflege. Das „Haus der Heimat“ sei ein wichtiger und sichtbarer Beitrag zu dieser gelebten kulturellen Vielfalt. Er bekräftigte die fortgesetzte Unterstützung der Stadt Wien für das Haus und unterstrich die verbindende Rolle der Volksgruppen mit den Worten: „Ich verweise auf die Brückenfunktion, die die deutschsprachigen Minderheiten zwischen ihren Heimatländern und den deutschsprachigen Ländern einnehmen.“
.png)
Festakt zum 107. Jahrestag des Völkermanifests – Eine historische Lektion für Europa
Der abschließende Höhepunkt des Symposiums war der Festakt zum Gedenken an das Manifest Kaiser Karls I. „An meine getreuen österreichischen Völker“. Karl von Habsburg analysierte das Manifest als einen visionären, aber „definitiv zu spät gekommenen“ Versuch, die Monarchie in einen Bundesstaat freier Völker umzuwandeln. Die zentrale Idee – nationale Selbstbestimmung innerhalb einer übergeordneten, übernationalen Rechtsordnung – sei eine zutiefst mitteleuropäische Idee, deren modernes Äquivalent heute in der Europäischen Union zu finden sei. Er schloss mit einem Appell, die richtigen Lehren aus der Geschichte zu ziehen: „Wir müssen die Geschichte verstehen, um daraus für die Gegenwart und die Zukunft Europas zu lernen.“
Der Historiker Prof. Dr. Lothar Höbelt lieferte eine präzise wissenschaftliche Einordnung. Er erklärte, warum das Manifest scheitern musste: Der äußere Druck der Alliierten war zu groß, und im Inneren löste es einen „Dominoeffekt“ aus, der den Zerfall der Monarchie beschleunigte. Besonders die sofortige Abwendung Ungarns vom dualistischen System habe die Lage weiter verschärft. Höbelt kritisierte, dass die Nachkriegsordnung der Pariser Vorortverträge durch die Schaffung großer Nationalstaaten die Minderheitenproblematik verschärft habe, während der föderale Ansatz des Manifests zukunftsweisender gewesen wäre.
Hartmut Koschyk: Appell zur Verantwortung und Würdigung der Zusammenarbeit
Eine zentrale Brücke von der Geschichte zur heutigen politischen Verantwortung schlug Hartmut Koschyk, ehemaliger deutscher Staatssekretär und Vorsitzender der „Stiftung Verbundenheit mit den Deutschen im Ausland“. Er betonte die essenzielle Rolle, die Vertriebenenorganisationen wie der VLÖ und seine Stiftung als Partner bei der Pflege des kulturellen Erbes und der europäischen Aussöhnung spielen. Die Vertriebenen seien, so Koschyk, Pioniere der europäischen Aussöhnung gewesen, weil sie aus eigenem Erleben wussten, wohin Nationalismus führt. Er mahnte eindringlich davor, dieses historische und kulturelle Erbe zu vernachlässigen: „Wir würden Österreich und Deutschland ein Stück ärmer machen, wenn wir die Geschichte, die Kultur, die Leidensgeschichte, aber auch die Hochkultur der Heimatvertriebenen vergessen würden.“
In diesem Kontext formulierte er zwei konkrete politische Anliegen: Zum einen lobte er die Existenz eines Vertriebenenbeirats im österreichischen Parlament als vorbildlich und als nachahmenswertes Modell für den Deutschen Bundestag. Zum anderen richtete er einen eindringlichen Appell an die Regierungen in Wien und Berlin, die bis heute verwehrte Anerkennung der deutschen Minderheit in Slowenien zur gemeinsamen „Chefsache“ zu machen.
Ein Volksgruppensymposium des Gedenkens und des Aufbruchs
„Das 23. VLÖ-Volksgruppensymposium war mehr als nur eine Gedenkveranstaltung. Es war ein starkes politisches Signal, ein Forum für tiefgreifende historische Reflexion und ein klares Bekenntnis zur europäischen Idee. Die positive Resonanz der Politik und die rege Teilnahme aus ganz Europa zeigen die ungebrochene Relevanz der Anliegen der Heimatvertriebenen und Heimatverbliebenen als integraler Bestandteil der österreichischen und europäischen Identität. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte wurde als unverzichtbare Grundlage für die Gestaltung einer friedlichen und vielfältigen Zukunft bekräftigt“, so Norbert Kapeller gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen im VLÖ-Vorstand abschließend.
Text: VLÖ / Bilder: Hartmut Koschyk