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Datum
4.7.2025
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Perspektivenreiches Gesprächsforum „Deutsch-jüdisches Kulturerbe als Auftrag für deutsche Minderheiten und deutschsprachige Gemeinschaften“

Im Rahmen der „Tage der Verbundenheit“ fand im Alten Rathaus in Bayreuth ein Gesprächsforum zum Thema des deutsch-jüdischen Kulturerbes als Auftrag für deutsche Minderheiten und deutschsprachige Gemeinschaften statt.

In seiner Begrüßung hob der Stiftungsratsvorsitzende der Stiftung Verbundenheit, Hartmut Koschyk, den Zusammenhang zwischen der Geschichte der Vertreibung der Deutschen im Osten Europas und der Leidensgeschichte der jüdischen Bevölkerung, die durch die Nationalsozialisten verfolgt wurde. „Ohne die Verbrechen des Holocaust hätte es die Vertreibung der Deutschen nicht gegeben“, so Koschyk deutlich.

Für das Podium geladen und durch Hartmut Koschyk begrüßt wurden der Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für Jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, für Erinnerungsarbeit und geschichtliches Erbe, Dr. Ludwig Spaenle, Cristina Arheit-Zapp vom Dachverband deutsch-argentinischer Vereinigungen, der Vorsitzende der israelitischen Kultusgemeinde in Bayreuth, Felix Gothart, der Vorsitzende der Deutsch-israelischen Gesellschaft Bayreuth-Oberfranken, Robert Eichler, sowie Lucjan Dzumla, Direktor des Hauses für deutsch-polnische Zusammenarbeit. Zudem wurden zwei Grußworte des Historikers und Professors der Universität Haifa, Moshe Zimmermann, und des für das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien (DFDR) im rumänischen Parlament sitzende Ovidiu Gant eingespielt. Moderiert wurde die Veranstaltung vom Journalisten und Buchautor Werner Sonne, der sich als Israel-Kenner und Kuratoriumsmitglied der Stiftung Verbundenheit stark für die Annäherung und die Kooperation der Stiftung Verbundenheit mit den sogenannten „Jeckes“, der Vereinigung der Israelis mitteleuropäischer Herkunft, einsetzt.

Der bayerische Beauftragte Dr. Ludwig Spaenle ging in seinem Impulsvortrag darauf ein, dass mit der sogenannten „Arisierung“ das jüdische Leben aus der Öffentlichkeit Deutschlands verschwand. Mit der „Stunde Null“ am 8. Mai 1945 verschwanden jedoch auch die Täter oder konnten als an den Verbrechen Beteiligte sogar in der Politik, Wirtschaft oder Verwaltung ihre Karriere fortführen. Es sei die Verantwortung aller in Deutschland lebenden Personen, die Erinnerung an die schlimme Zeit aufrecht zu erhalten. Spaenle hob die wissenschaftliche Aufarbeitung durch das Leo-Baeck-Institut positiv hervor und ging auch auf die Eröffnung des Museums der „Jeckes“, welche am 28. Oktober 2025 an der Universität in Haifa geplant ist, ein.

Ovidiu Gant, Abgeordneter des Deutschen Forums in Rumänien, der aus familiären Gründen kurzfristig nicht an den „Tagen der Verbundenheit“ teilnehmen konnte, sprach über die enge parlamentarische Zusammenarbeit mit dem Vertreter der jüdischen Minderheit im Rumänischen Parlament, Silviu Vexler. Zusammen wurden Initiativen zur Aufarbeitung des Holocaust gestartet und es wurde unter anderem durchgesetzt, dass die Geschichte des Holocaust als Unterrichtsfach an den rumänischen Schulen gelehrt werde. Er verwies zudem auf das Holocaust-Museum in Bukarest. Gant selbst gilt als einer der überzeugtesten und stärksten Verfechter der Aussöhnung und Verständigung zwischen der deutschen und der jüdischen Minderheit im Lande.

Der Historiker Professor Moshe Zimmermann ging in seinem virtuellen Grußwort auf die Geschichte der 200.000 Jeckes ein, die heute in Israel leben und sich als Deutschstämmige identifizieren. Zur Staatsgründung Israels stellten die Israelis mitteleuropäischer Herkunft 20 % der Bevölkerung, heute sei ihr Einfluss jedoch gesunken, auch wenn sie wie die Vertriebenenverbände in Deutschland „landsmannschaftlich“ organisiert sind. Die jüdischen Flüchtlinge, die vor den Nationalsozialisten geflohen sind, versuchten in politischer, historischer und kultureller Hinsicht an die jüdische Besiedlung vor 1933 anzuknüpfen. Professor Zimmermann verwies auf den Anstieg von Rassismus und Antisemitismus in der Bundesrepublik, betonte jedoch, dass Israelkritik an sich nicht mit Antisemitismus gleichzusetzen sei. Wichtig sei es, den Antisemitismus zu bekämpfen und die jüdische Auswanderung als deutsche Auswanderung anzuerkennen und somit auch die Rolle der „Jeckes“ in Israel als „Auslandsdeutsche“ zu sehen.

Werner Sonne ging in seiner ersten Fragerunde auf das jüdische Leben in Bayreuth ein. Felix Gothart und Robert Eichler betonten, dass man als jüdischer Mitbürger in der Öffentlichkeit nicht gefährdet sei, jedoch Veranstaltungen oft mit Gegenveranstaltungen rechnen müssten und die Vorsichtsmaßnahmen der Polizei erhöht werden.

Der Beauftragte Dr. Spaenle stellte als Antwort auf die Frage, ob Kritik am Gaza-Krieg Israels angebracht sei, klar, dass es nicht zu einer Verkehrung der Rollen von Opfer und Täter kommen dürfe, da der Anlass für den Krieg nicht beachtet werde. Für ein Ende des Krieges müsse die Hamas alle Geiseln freilassen. Er kritisierte außerdem, dass die Beleidigung jüdischer Mitbürger und Judenhass wieder hoffähig würden. Die Vertreter der jüdischen Einrichtungen in Bayreuth äußerten sich zum alltäglichen Antisemitismus und betonten, dass dieser einerseits aus dem islamischen Kulturkreis resultiere, aber auch von Einheimischen mit rechter Gesinnung praktiziert werde.

Die Vertreterin der deutschsprachigen Gemeinschaften in Argentinien, Cristina Arheit-Zapp, betonte, dass in Argentinien keine echte Aufarbeitung stattfand, die deutsche Gemeinschaft jedoch oft ihre Stimme für die jüdischen Mitbürger erhebe. Zwei Anschläge gegen jüdische Einrichtungen wurden bisher nicht aufgeklärt. Auch Hakenkreuze tauchen in der argentinischen Öffentlichkeit vermehrt auf.

Der Direktor des Hauses für deutsch-polnische Zusammenarbeit, Lucjan Dzumla, bezeichnete den Umgang mit der Vergangenheit in Polen als schwierig. Es gebe Vertreter in der polnischen Politik, die offen antisemitisch auftreten. Jedoch werde in Polen das jüdische Erbe aber auch gepflegt, z.B. durch das Haus der Deutsch-Polnischen Zusammenarbeit selbst oder durch Initiativen der Deutschen Freundschaftskreise (DFK) vor Ort. Unterschiede gibt es im Gedenken von deutsch- und polnischsprachigen Juden, die geografisch voneinander entfernt und in verschiedenen Regionen des heutigen Polens lebten. Der jüdische Hintergrund wird im heutigen Polen oft nicht in der Form gesehen, die er einnehmen könnte. So seien z.B. über die Hälfte der schlesischen Nobelpreisträger jüdischstämmig gewesen. Es gebe daher noch ein großes Potential. Dr. Ludwig Spaenle ergänzte daraufhin auf einen gedanklichen Fehler, dass bei der Vorbereitung der Gedenkfeiern an 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland die historischen deutschen Gebiete im Osten, in denen auch sehr viele Juden lebten, nicht beachtet wurden.

Cristina Arheit-Zapp berichtete über Initiativen in Argentinien, um das jüdische Kulturerbe sichtbar zu machen. So gebe es mit dem Projekt „Für eine tolerante Gesellschaft“ eine mobile Stolperstein-Ausstellung. Es gehe darum, aus Fehlern zu lernen, um die Zukunft zu gestalten. Die Ausstellung komme bei den Besuchern gut an. Zudem gebe es weitere Projekte der Bürgerdiplomatie in Zusammenarbeit mit dem Anne-Frank-Zentrum sowie eine Ausstellung zum jüdischen Leben im heutigen Deutschland.

Der Beauftragte Dr. Ludwig Spaenle beantwortete die Frage von Werner Sonne, ob Deutschland „Weltmeister der Aufarbeitung“ sei oder nicht, mit der Feststellung, dass es einen Unterschied gebe zwischen der Analyse der Vergangenheit und den daraus gezogenen Konsequenzen. Es gebe zwar in Deutschland den Schutz durch die demokratisch-freiheitliche Grundordnung und eine Solidarität mit Israel, jedoch gingen viele Bundesbürger davon aus, dass ihre Vorfahren entweder im NS-Widerstand gewesen wären oder aktiv zum Schutz der jüdischen Bevölkerung beigetragen hätten.

Mit Blick auf Bayreuth erklärte Felix Gothart, dass Stolpersteine in der jüdischen Erinnerungskultur nicht anzutreffen seien, da man die Geschichte nicht mit Füßen treten solle. In Bayreuth wurde der Ansatz des „sprechenden Steins“ gewählt, bei dem die Namen der jüdischen Opfer der Stadt vorgelesen werden.

Zum Ende der Diskussion fragte Kuratoriumsmitglied der Stiftung und Journalist Thomas Kretschmann nach der Rolle der Polizei bei der Bekämpfung und Prävention von antisemitischen Angriffen. Die Vertreter der jüdischen Organisationen beurteilten die Situation in Bayreuth als sicher, in Großstädten wie Nürnberg und München sei es jedoch gefährlicher. Der Antisemitismus-Beauftragte Dr. Ludwig Spaenle ergänzte zur Lage in Bayern, dass ein Netzwerk bei Polizei und Staatsanwaltschaft eingerichtet wurde, sodass in jeder Polizeistelle ein Antisemitismusverantwortlicher angesiedelt ist. Weiterhin wurde aus dem Publikum nach Lösungsansätzen zur Prävention von „Subkulturen der Intoleranz“ gefragt. Hier lautete der einhellige Appell zu gegenseitigem Kennenlernen und zu Mut für Protest, Vergangenheitsforschung und Aufarbeitung.

Zum Abschluss des Gesprächsforums unterzeichneten der Stiftungsratsvorsitzende Hartmut Koschyk und der Beauftragte für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, für Erinnerungsarbeit und geschichtliches Erbe, Dr. Ludwig Spaenle, eine Kooperationsvereinbarung, ein sogenanntes „Memorandum of Understanding“ zwischen der Stiftung Verbundenheit und dem Beauftragten, deren Kerninhalte die Durchführung und Förderung von Maßnahmen zur Verhinderung von Antisemitismus und die Pflege des historischen deutsch-jüdischen Kulturerbes sind. Gemeinsam soll die Zusammenarbeit mit der Association of Israelis of Central European Origin, den sogenannten „Jeckes“, gestärkt werden. Nach der Veranstaltung bot sich den Besuchern die Gelegenheit, den „sprechenden Stein“ sowie die Synagoge zu besichtigen.

 

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