Unter der Moderation von Ella Schindler, der Leitenden Redakteurin vom Verlag Nürnberger Presse, diskutierten die Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für Aussiedler und Vertriebene, Dr. Petra Loibl MdL, der AGDM-Sprecher Bernard Gaida sowie der Leiter EU & Europa der Deutschen Gesellschaft e.V., Dr. Vincent Regente, sowie Dr. Viktor Krieger, Historiker beim Bayerischen Kulturzentrum der Deutschen aus Russland das Thema“1945 - Beginn von Deportation, Lagerhaft und Repressionen der Heimatverbliebenen Deutschen im Osten”.
Besonders den Geschehnissen zum Ende des Zweiten Weltkriegs und den Kriegsfolgen aus der Sicht der Heimatverbliebenen, die bis heute im kollektiven Gedächtnis der deutschen Minderheiten in Mittel- und Osteuropa sind, wurde ein wichtiger Platz im Programm der diesjährigen "Tage der Verbundenheit" gegeben.
Der Geschäftsführer der Stiftung Verbundenheit Sebastian Machnitzke begrüßte zunächst die Teilnehmer des Gesprächsforums und die Besucher der Veranstaltung und übergab die Moderation dann an Ella Schindler, eine russlanddeutsche Journalistin aus Nürnberg.
Es folgten ein Impulsreferat von Dr. Petra Loibl (MdL) sowie Eingangsstatements von Bernard Gaida, Dr. Vincent Regente, Dr. Viktor Krieger sowie eine Videobotschaft des Abgeordneten des Demokratisches Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR), Ovidiu Gant.
Frau Dr. Loibl berichtete von ihren ersten Erfahrungen mit Heimatvertriebenen in ihrer Heimat Niederbayern. Ihrer Meinung nach sei bei der Bevölkerung kaum Wissen über die Heimatvertriebenen vorhanden, hier wünsche sie sich mehr Präsenz und Bedeutung in der Öffentlichkeit.
Bernard Gaida legte den Fokus auf das Schicksal der Heimatverbliebenen. Zwar werde das Wissen in der Familie über die Herkunft und die Repressionen weitergetragen, in der Öffentlichkeit herrscht aber nach wie vor die Angst vor Ausgrenzung und Vorurteilen. Obwohl es in Ländern wie Polen Bestrebungen der wissenschaftlichen Aufarbeitung gibt, wird die Vertreibung der Deutschen lediglich bisher in Kroatien als Genozid anerkannt.
Dr. Vincent Regente sprach von einer westdeutschen Erinnerungskultur, die vervollständigt werden müssen, was er als Aufforderung an Bildung und Forschung formulierte.
Dr. Viktor Krieger unterstrich, dass die Deportation der Sowjetdeutschen sowie die Arbeitslager, die dort bereits seit den 1920er-Jahren existierten, Vorbilder für die spätere Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten waren.

Ovidiu Gant, sprach in der Videobotschaft über das Schicksal der Russlanddeportierten sowie die deutsch-jüdische Verständigungsarbeit in Rumänien in der Gegenwart.
In drei Zeitzeugenvideos, die Stimmen von direkt Betroffenen aus dem Banat in Rumänien, Oberschlesien in Polen und der ehemaligen Sowjetuniondeutlich machten, wurde die tragische und schwierige Geschichte der heimatverbliebenen Deutschen im Osten mit persönlichen Kriegsfolgenschicksalen und Geschichten veranschaulicht.
Nach den Zeitzeugenvideos begann die Gesprächsrunde, bei der Ella Schindler mit den Teilnehmern über Erinnerungskultur und Bildungsarbeit sprach.
Die bayerische Aussiedlerbeauftrage Dr. Loibl erläuterte die Situation in den Bildungseinrichtungen. Zwar sei die Vertriebenengeschichte Teil der Lehrpläne, werde jedoch als freiwilliges Zusatzangebot von den Lehrkräften nur selten behandelt. Mehr Präsenz und Bedeutung für diese durchaus schwierigen Themen in der Öffentlichkeit wäre ihr großer Wunsch. Schulaustauschprogramme wären eine Möglichkeit, das Interesse auf diese Thematik zu lenken. Die Landesbeauftragte plant zudem bis zum Ende ihrer Amtszeit eine Broschüre über alle deutschen Minderheiten im Bundesland Bayern ausarbeiten zu lassen.
Bernard Gaida beurteilte die Lage der Heimatverbliebenen in Osten Europas ähnlich. Meist sind es Lokalhistoriker, die die Vertreibungsgeschichte aufarbeiten. Allgemein stehen Flucht und Vertreibung dem Leid der Heimatvertriebenen gegenüber. Gaida mahnte an, dass die Geschichte nicht mit dem Kriegsende 1945 aufhöre und die Geschichte in den fortan kommunistischen Ländern auch nicht erst 1945 beginne.
Dr. Krieger zeigte das Bild der Deutschen in der ehemaligen Sowjetunion. Diese wurden 1941 aus dem europäischen Teil des sozialistischen Staates nach Zentralasien und Sibirien deportiert, waren also Heimatvertriebene einerseits, aufgrund der Deportation im eigenen Land auch Heimatverbliebene zugleich. Da in der Sowjetunion auch andere Volksgruppen Repressionen ausgesetzt war, sei hier das Mitgefühl füreinander stärker. In der Russischen Föderation werde das Leid der Deutschen jedoch nicht in er Schule unterrichtet, da hier der Weltkriegsmythos aufrecht erhalten werde. Krieger zieht eine Parallele zum Narrativ der Schuld, welches im deutschen Bildungssystem keinen Platz für die Aufarbeitung der Vertriebenengeschichte lasse.
Dr. Vincent Regente verweist auf die unterschiedlichen Abläufe von Flucht und Vertreibung und sieht einen Interessenkampf zwischen den verschiedenen Gruppen, die durch den Zweiten Weltkrieg zu opfern wurden, um den Platz im Lehrplan. Vincent Regente spricht von einer westdeutschen Erinnerungskultur in der Bundesrepublik, obwohl die Kriegsfolgen für die Deutschen in den Ostgebieten weitaus schlimmer waren.
Aus dem Publikum wurde der Einwand gebracht, dass die deutschen Minderheiten mit der Schuldfrage in Bezug auf den Zweiten Weltkrieg konfrontiert werden. Dr. Krieger führt dazu aus, dass der Umgang mit der Schuld bis in die heutige Zeit entscheidend ist für die wissenschaftliche Aufarbeitung. Ella Schindler stellte klar, dass es einen Unterschied zwischen Schuld und Verantwortung gibt, dem man sich klar sein müsse. Gaida ergänzte, dass die Menschen allgemein die Verantwortung haben, dass solche Ereignisse wie nach dem Zweiten Weltkrieg für Heimatvertriebene und Heimatverbliebene, die beiden Seiten derselben Medaille, nie wieder geschehen dürfen.